Wir möchten auf die Stellungnahme der Fachkonferenz Sozialpädagogik und unserer, des FSR Soziale Arbeit, aufmerksam machen. Diese bezieht sich auf das Seminar „Denken und Denken lassen. Zur Philosophie und Praxis der Meinungsfreiheit“ von Prof. Schönecker (Fak. I). Dort werden zwei umstrittene Redner Vorträge halten, zum einen Marc Jongen (AfD) am 20.12.2018 und zum anderen Thilo Sarrazin am 10.01.2019 im Arthur Woll Haus.
Stellungnahme_FSR Soziale Arbeit_FK Sozialpädagogik (Klick zum Download der PDF)
Soziale Arbeit ist unweigerlich politisch: Die Lebensbedingungen von Menschen, das wohlfahrtsstaatliche Handeln und damit die Praxisfelder Sozialer Arbeit sind politisch bestimmt und werden gesellschaftlich gerahmt. Die kritische Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen sowie die Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen innerhalb von Gesellschaften gehören daher zum integralen Bestandteil der Wissenschaft und Praxis Sozialer Arbeit. Meinungs- und Redefreiheit sind hierfür grundlegend. Diese Überzeugung entlässt uns jedoch nicht aus unserer Pflicht, menschenverachtende Positionen als solche zu benennen, zu kritisieren und in ihren politischen Kontexten zu verorten.
Konkreter Anlass dieser Stellungnahme ist die Lehrveranstaltung „Denken und Denken lassen. Zur Philosophie und Praxis der Redefreiheit“, die im laufenden Semester im Fach Philosophie an unserer Universität angeboten wird und in welcher Personen, die für rechtspopulistische Positionen stehen, in Form von Vorträgen zu Wort kommen. Dieser Sachverhalt macht uns einmal mehr aufmerksam auf die gesellschaftliche Verantwortung und alltägliche Herausforderung, in Lehre und Forschung zu Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art (sei es kulturell, biologisch oder anderweitig begründet) Stellung zu beziehen.
Die Art und Weise, wie sich mit unterschiedlichen Positionen universitätsintern auseinandergesetzt wird, ist dabei entscheidend, da sich hieraus unterschiedliche Konsequenzen ableiten. Lehrveranstaltungen und insbesondere Vorträge sind als machtvolle Situationen zu reflektieren und zu gestalten, in denen aufgrund gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse sehr ungleich verteilt ist, wer wie viel und wie gewichtig etwas zu sagen hat. Gleichwohl sind Lehrveranstaltungen nicht nur in universitären Kontexten bedeutsam, sondern wirken auch machtvoll innerhalb breiterer gesellschaftlicher Diskurse. Diese Diskurse mitzugestalten, ist Aufgabe von Universitäten, indem sie hierzu einen kritisch reflektierten Beitrag leisten.
Prominenten Redner*innen, die für rassistische, diskriminierende und wissenschaftsfeindliche Positionen bekannt sind, durch Vorträge an Universitäten einen gesellschaftlich besonders anerkannten Raum zu geben, spielt demgegenüber einem populistischen Diskurs zu: Die Prominenz und die Möglichkeit der Nutzung einer entsprechenden Arena fördern eine emotionale Verbindung über die Form der bewussten Inszenierung. Selbst wenn diese Form der Emotionalisierung – im Seminarkontext oder darüber hinaus – kritisch reflektiert wird, werden die Positionen, für welche die entsprechenden Personen in weiteren Kontexten unweigerlich stehen, gestärkt – ganz unabhängig davon, ob diese in der unmittelbaren Situation ausgesprochen werden. Es ist keinesfalls Aufgabe von Universitäten, Vertreter*innen solcher Positionen eine zusätzliche Bühne zu schaffen und damit diese Diskurse zu ermächtigen und so ggf. gesellschaftsfähig(-er) zu machen. Mehr noch: Je mehr wissenschaftsfeindlichen, rassistischen und diskriminierenden Positionen in der im angesprochenen Seminar gebotenen Form Raum gegeben wird, desto mehr läuft man Gefahr, dass die Positionen derer, die von Rassismus und Diskriminierung direkt oder indirekt betroffen sind, in ihrer (Meinungs- und Rede-)Freiheit bedroht sind.
In der Lehre über Zusammenhänge von Politik und Gesellschaft nachzudenken, zu streiten und verschiedene Meinungen zu diskutieren, schließt eine Auseinandersetzung mit Rassismus, Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus als Gegenstand von Theorie, Forschung und Praxis Sozialer Arbeit und angrenzender Disziplinen keinesfalls aus, sondern unbedingt ein. Dazu erachten wir jedoch eine kritisch-reflektierte und wissenschaftliche Diskussion differenter Positionen in Lehre und Forschung – bspw. auf Ebene einer Auseinandersetzung mit publizierten, auch durchaus als rassistisch und diskriminierend zu verortenden Texten – als wichtige
und selbstverständliche Aufgabe, in welcher die Rede- und Meinungsfreiheit aller Beteiligten (Studierender und Dozierender) ernst genommen und zugleich auf Populismus verzichtet wird. Dies erfordert eine (Wissenschafts-)Politik, die die Freiheit von Wissenschaft und Forschung fördert, indem sie Forschungsergebnisse als solche anerkennt, kritische Theorien und Forschungsansätze zulässt und diese nicht in der breiten Öffentlichkeit diffamiert.
Da Soziale Arbeit unweigerlich politisch ist, treten wir für eine Meinungs- und Redefreiheit ein, die gerade nicht mit einer Relativierung wissenschaftsfeindlicher, rassistischer und diskriminierender Positionen einhergeht. Wir sprechen uns demnach explizit für eine Universität aus, die für eine wissenschaftliche Art und Weise der Auseinandersetzung mit (kontroversen) Inhalten steht, in diesem Zusammenhang eine kritische Reflexionsfähigkeit sozialer Verhältnisse erreicht und folglich ihre politische und soziale Verantwortung ernst nimmt.
Siegen, 28.11.2018